Norbert Braun, Interview mit Ulrich Zimmermann – September 1984, erschienen in ketchup – Stadtillustrierte für Karlsruhe

Mit Ulrich Zimmermann möchten wir unsere Reihe „Karlsruher Literaturgespräche“ fortsetzen. Ulrich wurde 1944 in Danzig geboren und veröffentlichte seit Beginn der 70er Jahre zahlreiche Arbeiten zum Thema Schule, schrieb Satiren, Fabeln und Kinderbücher. Wenn er dieser Tage seine Schreibmaschine mit der Maurerkelle vertauschte, so hat das seine Ursache in der „Ateliergemeinschaft Wilhelmshöhe“, in die der Autor demnächst einziehen wird. Ketchup nahm dieses Projekt zum Anlaß, über das Zusammenleben von Menschen und das Zu¬sammenarbeiten von Künstlern zu sprechen. Wir hoffen, daß darüber die Person des Autors nicht zu kurz kam.

Ketchup: Du arbeitest zur Zeit gemeinsam mit anderen Künstlern am Umbau und Ausbau des früheren Altenheims auf der Ettlinger Wilhelmshöhe. Wie kam es zu diesem Wohnprojekt und wie weit ist es bis jetzt realisiert?
Zimmermann: Wohnprojekt ist nicht ganz richtig. Die Wilhelmshöhe ist wohl auch zum Wohnen gedacht, aber mit der Bezeichnung “Ateliergemeinschaft Wilhelmshöhe” liegt der Akzent mehr beim Arbeiten, vielleicht auch beim Zusammenarbeiten. Den Anstoß zu diesem Projekt gaben ein Maler und ein Architekt, die in der „Schule“ in der Mathystraße ihre Ateliers hatten und dort raus mußten, weil ihr Vertrag auslief. Bei ihrer Suche nach neuen Räumen stießen sie auf das leerstehende Gebäude in Ettlingen, die Ettlinger Behörden zeigten sich interessiert, und so kam eine Gruppe von Malern, Architekten, Fotografen und Bildhauern zusammen, die die Wilhelmshöhe in Eigenregie renovieren und ausbauen wollten. Zuletzt kamen Christine Eigel und ich als Autoren dazu.
Ketchup: Mit Christine hast du ein Kinderbuch geschrieben. War das eine Vorbereitung auf die erweiterte Zusammenarbeit mit Künstlern aus anderen Sparten?
Zimmermann: Ich möchte in der Wilhelmshöhe natürlich auch weiterhin für mich allein arbeiten können, meine eigenen Sachen schreiben wie Satiren oder Fabeln. Aber es reizt mich schon, von anderen angeregt zu werden und andere anzuregen. Vorstellen könnte ich mir eine Verknüpfung von Texten mit Bildern, mit Fotografien oder mit Musik. Solange wir in der reinen Bauphase stecken, kommen solche Pläne allerdings noch zu kurz. Das wird, glaube ich, allgemein als Mangel empfunden.
Ketchup: ... besonders aber wohl von dir. Du bist der kontaktfreudigste Einzelgänger, den ich kenne ...
Zimmermann: ... alleine schreiben ist nicht immer lustvoll und es führt oft in die Vereinsamung. Die Zusammenarbeit mit anderen sehe ich da als Korrektiv. Mich beeinflußt das Wohnen sehr stark beim Schreiben. Ich habe lange alleine gewohnt, zwar in der Karlsruher Südstadt, aber mit wenig Kontakt zu Nachbarn. Ich habe das, glaube ich, auch sehr lange so gebraucht. In der Wilhelmshöhe ist diese Anonymität völlig aufgehoben, ich bin da jetzt mit zehn Leuten „verheiratet“.
Ketchup: Und was erhoffst du dir von dieser Ehe?
Zimmermann: Ich hoffe, daß der Prozeß der Vereinsamung im Wohnen und Schreiben aufgehalten wird. Den notwendigen Bezug auf die eigene Person, wie er sich beim Alleinewohnen einstellt, sehe ich heute als eine Art Durchgangsstation.
Ketchup: Wie du sagtest, war es eher zufällig, daß Karlsruher Künstler nach Ettlingen emigrieren. Die Idylle im Walde hat wohl keiner gesucht, aber jetzt habt ihr sie und müßt damit zurechtkommen. Besteht die Gefahr des Abdriftens dort draußen?
Zimmermann: Die Gefahr besteht schon, nämlich dann, wenn es nicht gelingt, Publikum anzuziehen. Es ist dabei nicht allein davon abhängig, was wir bei unseren Veranstaltungen anbieten, es ist auch ein technisches Problem durch die weite Entfernung, durch das Fehlen von Parkplätzen.
Ketchup: Also Angst vor dem Schmoren im eigenen Saft?
Zimmermann: Ja, sicher, denn es ist ja ein wichtiger Teil unseres Konzepts, Ausstel¬lungen, Musik verschiedenster Richtungen, Kombinationen von Literatur und Musik zu veranstalten. Die Räume, die uns zur Verfügung stehen, wären auch sehr gut geeignet für Theateraufführungen kleinerer Gruppen.
Ketchup: Und was ist der andere Teil des Konzepts?
Zimmermann: Die Möglichkeit für jeden, so zu arbeiten wie er es will. Auch in gemeinsamen Werkstätten ...
Ketchup: Und wenn die Leute nicht kommen ... ?
Zimmermann: Was uns anfangs helfen wird, ist der hohe Bekanntheitsgrad des Gebäudes. Ich glaube, wir können mit der Neugier der Ettlinger und Karlsruher rechnen, die einfach sehen möchten, was die Künstler aus der Wilhelmshöhe gemacht haben. Dazu kommt, daß jeder der elf Leute natürlich seinen Clan mit sich zieht. Aber wie gesagt, wir möchten schon in Ettlingen Resonanz finden.
Ketchup: Zurück zu deiner Person. Siehst du eine Entwicklungslinie in deiner Biographie, die hin zu Wilhelmshöhe, zum Zusammenleben mit Künstlern führt?
Zimmermann: Ich möchte nicht nur mit Künstlern umgehen, um Gottes Willen. Aber als ich mit dem Schreiben begann, war ich isoliert von anderen, die ähnliche Erfahrungen damit machten. Zunächst war da eine Art Hochgefühl, mit dem Schreiben eine künstlerische Ausdrucksform gefunden zu haben, von der ich glaubte, daß sie mir lag. Erst ablehnende Antworten von Verlagen machten mir meine Isolation spürbar. Ich wollte ein Publikum erreichen, und deshalb versuchte ich, erste Kontakte mit anderen Schreibern herzustellen. Das hat dann schließlich zu Projekten geführt, die gemeinsam entstanden sind.
Ketchup: Deine Ausdrucksformen haben sich im Lauf der Jahre verändert und entwi¬ckelt. Wird diese Entwicklung im neuen Domizil weitergehen und wohin wird sie führen?
Zimmermann: Ich will mich eigentlich gar nicht so sehr darauf festlegen, ein Schriftsteller zu sein. Ich schreibe seit vielen Jahren, ja, aber ich bedauere eigentlich, daß ich neben dem Schreiben keine anderen künstlerischen Ausdrucksforrnen entwickelt habe. Ich würde zum Beispiel sehr gern ein Instrument spielen, auch komponieren oder auch gestalterisch tätig sein. Vielleicht ergibt sich aus dem ständigen Kontakt mit den Künstlern in der Wilhelmshöhe das eine oder andere Experiment.
Ketchup: Werden sich deine Erfahrungen mit der „Ateliergemeinschaft Wilhelmshöhe“ in einer Dokumentation oder in einer Erzählung niederschlagen?
Zimmermann: Ich habe daran gedacht, aber ich weiß es noch nicht. Es ist bei mir allerdings so, daß ich kein Tagebuchschreiber bin. Erfahrungen, die ich mache, fließen in meine literarische Produktion ein. Vorerst ist es ja auch noch so, daß die menschlichen Beziehungen, über die zu schreiben es sich lohnte, zu kurz kommen. Wir treffen uns einmal in der Woche zu institutionaliserten Sitzungen, und dort wird vornehmlich über Fragen des Renovierens gesprochen, und ansonsten eben über die Arbeit am Bau selbst. Wir hoffen natürlich alle, daß sich das bald ändert.