KIK (Kultur in Karlsruhe) 8/80, Das Autorenporträt

Roland Jost: Auf dem „Langen Marsch“
Ulrich Zimmermann oder die Crux mit dem Engagement

Mit 17 Jahren hat er die ersten literarischen Gehversuche unternommen und sie seinem damaligen Deutschlehrer anvertraut, der ihn dazu ermunterte, weiterzumachen. Daraus erwächst eine Bearbeitung des Goetheschen „Werther“ und heraus kommt 1963 „Schieß in den Wind, Lo!“- eine ästhetische Umsetzung der eigenen Aufbruchstimmung, die getragen ist von der Distanz des Erlebten durch die literarische Vorlage und zugleich vom Engagement für die Formulierung der eigenen Erfahrungen. Das Buch läuft schlecht, der Verlag geht pleite und dies läßt ihn von erhofften Höhen eines Autorendaseins auf den Boden des Literaturmarktes zurückkehren, der die Güte von Literatur eher an dubiosen Bestsellerlisten abzulesen pflegt.
Auf dem Höhepunkt der Studentenbewegung, 1967, beginnt er das Studium der Fächer Deutsch, Geschichte und Politik an der Pädagogischen Hochschule; jedoch erfaßt ihn die allgemeine Politisierungswelle noch nicht - das Bewußtsein über gesellschaftliche Zusammenhänge und Prozesse, das Interesse dafür, entwickelt sich bei ihm später, um sich dann bis in die Gegenwart hinein zu intensivieren. Vorläufig (1968) steht die Lyrik im Vordergrund - die Arbeit an einer sprachexperimentellen Kollage nimmt seine Zeit in Anspruch. Sie bleibt fragmentarisch und wird nun - nach 12 Jahren - von ihm für die Publikation bearbeitet; dabei entdeckt er die politische Brisanz, die damals - ihm nicht zu Bewußtsein gekommen - schon in diesem Material gesteckt hat und die nun für ihn aus anderer Sichtweise erkennbar wird.

Nach seinen literarischen „Vorbildern“ befragt gibt er zu verstehen, daß ihn die „Einfachheit der Sprache“ und die „absurden Situationen“ (in denen er manchmal die eigene Lage zu erkennen geglaubt hat) der Kafkaschen Produktionen tief beeindruckt und seine Erzählungen „Über allen Gräbern ist Ruh!“ (1972) mitbestimmt haben. Dennoch dokumentiert schon der Lyrik-Band „mein Bruder“ (1971) den versuchten Aufbruch aus den traditionellen Formen, die im wesentlichen von der Lyrik Benns und Trakls beeinflußt gewesen sind: Am entschiedensten beeindruckt hat ihn das Hören Bennscher Gedichte, die mit Jazz verknüpft auf einer LP produziert worden sind. Überhaupt fasziniert ihn schon seit langer Zeit der Jazz, und die vierjährige Zusammenarbeit mit einer Karlsruher Jazzgruppe hat zu einem konkreten Ergebnis geführt: Text-Musik-Stücke auf der LP „Kooperative Wort & Jazz“, die versucht, traditionelle Produktions- und Rezeptionshaltungen von Literatur ansatzweise zu überwinden. So ist auch die kollektive Produktion in bestimmten Bereichen für ihn eine wichtige Form seiner Arbeit, und der lockere Zusammenschluß der Karlsruher Literaturszene - gefördert durch die Arbeit im „Verband deutscher Schriftsteller (VS)“ innerhalb der IG Druck und Papier und durch die Tätigkeit in Alternativ-Verlagen - sind Motoren für die individuelle Produktion.

Seine Berufspraxis als Lehrer - inzwischen mit halbem Deputat, das ihm mehr Zeit für die literarische Arbeit läßt - ist seit 1971 die reale Erfahrung des Arbeitsplatzes, die ihn zur intensivierten Auseinandersetzung mit der „Außenwelt“ zwingt. So entstehen als ästhetisch vermittelte Beobachtungen der Schul- und Jugendwirklichkeiten der Lyrik-Band „Abgeschrieben“ (1978) und - als alternatives Jugendbuch konzipiert - die satirische Sammlung „Ich bin ein Vogel“ (1979), die seinen Weg zum politischen Schriftsteller („es geht nicht anders“) zeichnen.

Seine Position ist gekennzeichnet durch die Absicht, Literatur als innovatorische zu begreifen, die über gängige Modetendenzen hinausweisen und gehen müsse als Möglichkeit, „Menschen auf den Weg der Kritikfähigkeit zu bringen“. In diesem Versuch ist auch der ständige Kampf des Produzenten mit der Fremdbestimmung durch (Auftrags-)Arbeiten für die etablierten Verlage enthalten, der man sich durch die Tätigkeit für und in den Alternativ-Verlagen wenigstens teilweise entziehen könne. Unter diesem Aspekt ist auch seine jahrelange Mitarbeit in einem Kleinverlag zu sehen, die ein selbstproduziertes Buch in schlichter Druckform (auf Postformularkarton) entstehen läßt: „stinkmorcheln“ (1973) - ein Band, der ihm sein „liebstes Buch“ geworden ist. Er hat erkannt. daß die zu diesem Werk fehlende Werbe- und Vertriebsmaschinerie der großen Verlage den Umgang mit dem eigenen Produkt und den Kontakt mit dem Publikum intensiviert hat, wobei der Verkauf entschieden mehr Eigeninitiative erfordert.

Auf den Bereich der Dramatik angesprochen, verweist er auf den 1970 erschienenen Einakter „Gehen“, der das sprachliche Umfeld des Begriffes „gehen“ vermittelt und als Pantomine u. a. theatralisch zu realisieren versucht. Sein Interesse am Theater ist groß, und so hat er den Entstehungsprozeß der Karlsruher Tretjakow-Inszenierung als Hospitant am Schauspielhaus verfolgt - mit gemischten Gefühlen. Man hätte, wie er erklärt, die satirischen Momente entschiedener herausarbeiten müssen, um dem ungeheuren Sprengsatz des Textes deutlichere Konturen zu verleihen; dennoch sei die Aufführung für Karlsruher Verhältnisse gut gewesen. Seit September 79 arbeitet er in seiner Südstädter Hinterhauswohnung an einem Roman, dessen Titel und Ende noch nicht bestimmbar sind - man darf nach dem 1980 zusammen mit Christine Eigel herausgegebenen Band „Plötzlich brach der Schulrat in Tränen aus“ auf Ulrich Zimmermanns neues Werk und seinen weiteren Weg als engagierter Autor gespannt sein.