Kirsten Voigt: Abgestumpfte Welt mit satirischen Scheinwerfern beleuchten (Badische Neueste Nachrichten, 24.12.1988)

Der in Danzig geborene Schriftsteller lebt in Ettlinger Wilhelmshöhe / Kooperation und Austausch sind wichtig

Unterm Dach, denkt man, leben Poeten. Das trifft auf Ulrich Zimmermann zu. Bis sein Dach allerdings dicht war, dürfte der Dichter einiges an Nerven und Muskelkraft investiert haben, denn wie alle Künstler, die sich in mühsamer Eigenarbeit auf der Ettlinger Wilhelmshöhe Arbeitsraum und ein neues Heim schufen, fand auch Zimmermann nur Bausubstanz in ruiniertem und ruinösem Zustand vor. Der Renovierungsmarathon, der sich über Jahre hinzog, erforderte eine zeitweise Metamorphose: Der Hirnwerker widmete sich dem Handwerk, das so an allen Kräften zerrte und zehrte, daß das Papier sich gedulden mußte. Nun endlich sind Kopf und Hände wieder frei für die Literatur, die im „Oberstübchen“ entsteht.

Mit Spitzwegs Federkiel Poesie hat Zimmermanns Arbeit wenig gemein - nicht die Produkte und nicht die Produktion. Allein der „computergestützte“ Schreibvorgang, den die Informatiker in industriell-technologischem Vokabular und in Verkennung des kreativen und nicht nur reproduktiven Schreibakts als „Textverarbeitung“ bezeichnen, ließe sich nur mit großer Beschwernis unterm Regenschirm im Bett auf den Knien vollziehen. In der neuesten Publikation des Ettlinger Schriftstellers, dem von ihm herausgegebenen, im Verlag G. Braun erschienenen Karlsruher Lesebuch, das 21 Autoren aus der Fächerstadt vorstellt, ist über sein Verhältnis zum elektronischen Handwerkszeug folgendes nachzulesen: „Dein ungeheurer / Datenhunger / verführt mich / zum Denken / mein Freund / wärst du ein / Schöngeist / ich gäbe dir / nur Erlesenes ein.“

Um „Erlesenheit“ ging es dem belesenen Schriftsteller, der 1944 in Danzig geboren wurde, nie. Er ist ein kritischer Kopf, der sich, heute stärker als in seiner Frühphase, mit den Realitäten seiner Zeit auseinandersetzt. Die Schattenseiten dieser Wirklichkeit provozieren den engagierten Intellektuellen.

Seine Texte umwabert jedoch nicht etwa eine mysteriöse allgemeine Düsternis, son¬dern er leuchtet seine Stoffe mit den Scheinwerfern des Satirikers aus, hebt Probleme aus der diffusen Beleuchtung einer allgemein auf Beruhigung, Verschleierung und Bewußtseinsabstumpfung getrimmten öffentlichen Meinungsmache. Allerdings hakt Zimmermann nicht etwa oberflächlich Themen, einen Katalog von aktuellen Schwierigkeiten ab, sondern geht, mit dem Blick auf den alltäglichen Kleinkrieg in den kleingeistigen Großhirnen, Zeitströmungen nach: Der Hauptzug dieser aufbauhektischen, in der Tat jedoch zerstörungswütigen Epoche ist die Absurdität, die Zimmermann mit seiner Prosa in den verschiedensten Facetten vorführt.

Wie viele Autoren seiner Generation begann Zimmermann unter dem Einfluß Kafkas und des französischen Existentialismus zu schreiben: Fiktionale parabolische Geschichten.

Schon früh suchte er den Kontakt zu Künstlern anderer Genres, musizierte und malte, mehrfachbegabt, selbst. Nach dem Studium an der Pädagogischen Hochschule in Karlsruhe gründete Zimmermann, auch als eine Art Selbsthilfeaktion, einen eigenen kleinen Verlag, in dem ein Dutzend Bücher erschien. Zimmermanns betonte Hinwendung zur „literature engagée“ erfolgte für seine eigenen Begriffe spät: nach den Berufsverboten, nach Stammheim.

Virtuos und hellsichtig ging er stets mit der Sprache um. Diese Begabung ist schon in seiner ersten veröffentlichten Erzählung „Schieß in den Wind, Lo“, der Bearbeitung von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ die Zimmermann als 19jähriger in Auftrag bekam, bemerkenswert frei und wirkungsvoll entfaltet. Zügig fließen die kurzen Prosatexte dahin ohne zu plätschern. Zimmermann verfährt mit der Sprache durchaus spielerisch, eine Qualität, die, in der Lyrik besonders zum Tragen kommt, dabei aber auch analytisch.

Für ein weiteres Feld schriftstellerischer Betätigung, die Kinder und Jugendliteratur, prädestiniert Zimmermann sein Beruf. In seinem 1978 publizierten Buch „Abgeschrieben – Texte zum Thema Schule“ verarbeitete er seine Erfahrungen als Lehrer. Diesem für gesunde Unruhe im Schultrott sorgenden Band folgte der Auftrag des Suhrkamp Verlags, eine Anthologie in der Reihe „Verständigungstexte“ zusammenzutragen, die den verheißungsvollen Titel trägt „Plötzlich brach der Schulrat in Tränen aus“. Dieses Buch und das vor vier Jahren im Baden Badener Signal-Verlag erschienene „Nudelschiff“ verfaßte Zimmermann gemeinsam mit Christine Eigel.

Als Mitglied der Ateliergemeinschaft Wilhelmshöhe ist der Autor für die literarischen Veranstaltungen, die im Haus an der Schöllbronner Straße stattfinden, mitverantwortlich. Er initiiert Lesungen und Schriftstellersymposien. In diesem Jahr diskutierten Kollegen in einer mehrtägigen Werkstattveranstaltung über das Thema: „Von der Idee zur Geschichte“, im nächsten Jahr werden sich Autorenfreunde treffen, um den Kunstgriffen und Kniffen nachzuspüren, die der Schriftsteller beherrschen muß, um seine Stoffe mit der Gattung der Satire zu packen.

Mit seiner jüngsten Arbeit für das Karlsruher Jakobus-Theater, die er mit dem zur Ateliergerneinschaft gehörenden Regisseur Heinz Wittig umsetzen will, verwirklicht Zimmermann endlich auch einen Wunsch, der ihn zum Eintritt in die Wilhelmshöhe mitbewog. Er sucht den Austauch, die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern. Seit Jahren gelingt ihm dies in dem Ensemble „Fabelhafte Mundwerke & Artige Musik“, das mit Programmen auftritt, in denen Wort und Musik kombiniert werden. Neue literarische Botschaften aus dem Haus im Wald über Ettlingen harren der Verbreitung. Um neue Ideen ist Ulrich Zimmermann nie verlegen.